Denn, fünftens: das Sprechen in Versen verleiht unserer Reise würde. Die beschwerlichen und nicht selten auch gefährlichen Reisebedingungen bis zum Aufkommen des Komfortreisens in der Moderne machen den Reisesegen zu einer der wichtigsten Gedichtformen. Das Motiv der Geschwindigkeit des Zuges, die sich auf die Verrichtungen im Zuginneren ausdehnt, findet sich in Lutz Rathenows Deutschland im ICE (1998): „Ein Blitz. Die Attribute der Pilgerschaft (Jakobsmuschel, breitkrempiger Hut, Pilgermantel, Beutel und Flasche sowie der Pilgerstab) werden bis in die Gegenwart zitiert. Der Gang oder Ritt durch die herbstliche Landschaft ist eine überaus passende Gelegenheit, sich und den Leser in Melancholie versinken zu lassen. Insofern kann das Lesen von Reisegedichten dabei helfen, Mitgefühl für die Flüchtigen, Vertriebenen und Unbehausten dieser Welt zu gewinnen, aber auch für die Zurückgelassenen und Zurückbleibenden – für Fernweh, Heimweh, Sehnsucht. In den Trümmern findet sich (und so endet der Text), „ein Püppchen, im Bettchen verbrannt, / Dem war ein Eselchen vorgespannt.“ Die Wirkungen des Eisenbahnfahrens reichen bis in die Poetik. Das spiegelt auch Goethes in der „Postchaise den 10. Fünfziger und sechziger Jahre: Wilhelm Lehmann, Johannes Bobrowski, Werner Bergengruen, Paul Celan, Ingeborg Bachmann; Siebziger und achtziger Jahre: Günter Kunert, Rolf Dieter Brinkmann, Erich Fried, Rudolf Hagelstange, Karl Krolow; Neunziger und Zweitausender: Volker Braun, Walter Helmut Fritz, Hilde Domin, Durs Grünbein, Ulla Hahn, Jan Wagner, Kerstin Hensel u. a. Ingeborg Bachmanns Böhmen liegt am Meer bedient sich ausführlicher Shakespeare-Assoziationen; allein der Titel ruft Shakespeare’s A Winter’s Tale auf: „Bohemia. Der vogelfreie Vagabund orientiert sich nicht an Gartenzäunen und festen Häusern, sondern an den Zugvögeln. / Im Leiden Mut und Labung nur / Gewährt die heilige Natur!“. [Basissatz, Intention d. Autors, Inhaltsangabe, Deutung mit .. Kurzinterpretation zu Günter Kunerts Kurzgeschichte "Zentralbahnhof". Bei .. Hallo, Dass Bahnhöfe auch Orte des Abschieds, insbesondere des Liebesabschieds sein können, zeigt Uljana Wolfs Gedicht reisende (2003), in dem Liebesritual und Bahnhofsszene sprachbildlich verschmelzen: „an den weichen / geschiente küsse // gegen das fortklopfen / der züge“. Nach diesem Experiment der Brüder Joseph Michel Montgolfier und Jacques Étienne Montgolfier folgt am 2.7.1900 der erste Motorflug, als das Luftschiff LZ 1 von Ferdinand Graf von Zeppelin erfolgreich startet. Mit sehnsüchtigem Blick hinauf zu den Wildgänsen beklagt der Sprecher von August Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Die wilden Gänse (1840): „Kaum sind wir aber fort von Haus, / So muss auch schon der Pass heraus. Ähnliches stellt Günter Kunert in Genug gereist (2011): „Ich bin kein Columbus. Sich dem Fluss hinzugeben und einem unbekannten Ziel zuzutreiben ist ein häufiges Motiv in der Reiselyrik: Es findet sich beispielsweise in Schillers Der Pilgrim von 1803: „Und zu eines Stroms Gestaden / Kam ich, der nach Morgen floss, / Froh vertrauend seinem Faden, / Werf ich mich in seinen Schoß.“ In ähnlicher Form lässt sich das lyrische Ich in Friedrich Hölderlins alkäischer Ode Der Nekar (1792): „Der Berge Quellen eilten hinab zu dir, / Mit ihnen auch mein Herz und du nahmst uns mit, / Zum stillerhabnen Rhein, zu seinen / Städten hinunter und lustgen Inseln.“ Bei Hölderlin wird der Neckar zum Träger der Sehnsucht, die das lyrische Ich schließlich die „schönen / Inseln Ioniens“ und ein idealisiertes Griechenland erblicken lässt. wo die Citronen blühn, / Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn, / Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht, / Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht, / Kennst du es wohl? Ab 1949: Währungsreform, Wirtschaftswunder – Italien lockt nun auch den kleinen Mann! Für viele junge Soldaten war die Einberufung zum Heer oder zur Marine der erste Ausblick auf einen Auslandsaufenthalt. Auch Ulla Hahns Reisesegen (2013), der das Versprechen zum Ausdruck bringt, „niemals ans Ziel“ zu kommen, enthält reisedidaktische Züge – jedoch weniger konkrete Handreichungen als reisephilosophische Hinweise. / Spät erst erfahren Sie sich: / bleiben und stille bewahren / das sich umgrenzende Ich.“ Das Aufkommen von Fernreisen, die keine spirituellen Ziele mehr verfolgen (wie Kreuzzug und Pilgerreise), sondern wie die Grand Tour und die Entdeckungsreise nur der Selbst- und Welterkundung dienen, erzeugt Druck auf die Sesshaften und fördert gleichzeitig deren Reiseskepsis. Eines der ganz frühen Gedichte von Günter Kunert, vor mehr als einem Vierteljahrhundert geschrieben, heißt recht programmatisch "Traum von der Erneuerung" und endet mit … Der solchermaßen Getriebene fühlt sich dem Fernweh auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. In Sarah Kirschs Fluchtpunkt (1982) verschwindet schon der Weg selbst, weil „[d]ie eignen Maschinen [uns zwingen,] / Ohne Verweilen weiterzurasen“. Mit der Gründung der Deutschen Luft-Reederei setzt in Deutschland ein regulärer ziviler Luftverkehr ein. Wenn Alexander an die Pforte des Paradieses vorstößt oder in einer Taucherglocke vorstößt, zeigt dies einerseits seine Vermessenheit (hybris), andererseits seine Neugier (curiositas). Günter Kunert (Berlín, 6 de marzo de 1929-Kaisborstel, 21 de septiembre de 2019) [1] fue un escritor alemán. Allerdings kann ein Hinausgehen in die Fremde, beispielsweise in Clemens Brentanos In der Fremde (1810), auch ein gegenteiliges Bestreben auslösen: Wer seine Heimat verlässt, ist aufgerufen, sich zu beheimaten. Zum Motivschatz des Wandergedichts in Romantik und Biedermeier gehören außerdem die Trennung von der Geliebten und der Höhenblick in die Vergangenheit; die Begleitmusik liefert der singende Wanderer selbst oder die Wappenvögel der Romantik: Lerche und Nachtigall. Jahrhundert die Pilgerfahrt (auch nach Rom und ins Heilige Land) in der Christenheit üblich. Der Sprecher beschreibt Venedig als „die Stadt, die immer wieder, wo ein Schimmer / von Himmel trifft auf ein Gefühl von Flut, // sich bildet ohne irgendwann zu sein“. / Mein Reisegeld sucht andres, andre. Abwesendes Beieinandersein. Im Rahmen einer Gesandtschaftsreise von Hof zu Hof, auch in den Osten (Baltikum, Polen, Russland); als Adeliger im Rahmen der Grand Tour oder Kavaliersreise nach Venedig, Rom, Paris, Leiden oder London; Mit dem Boot oder Schiff, zu Fuß und zu Pferde; eingedenk des Todes (memento mori) und mit dem Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit (vanitas), als mögliche Konsequenz: um den Augenblick zu genießen (carpe diem). / Eine Sorte Bier ging schon aus, das Eis / Wärmt die Zunge. Reisegedichte sind überdies gute Reisegefährten und vertreiben die Einsamkeit, die sich auf Reisen zuweilen einstellt: Sie erinnern uns daran, dass Reisende vor uns ähnliche Erfahrungen gemacht haben. In Terminal B, Abflughalle (1999) thematisiert Hans Magnus Enzensberger, wie plump sich Flugtechnik gegen Flugwerke der Natur ausnimmt: Ein Flugreisender versäumt seinen „Jumbojet“, weil er in die Betrachtung einer Feder versinkt: „Doch soviel siehst du mit bloßem Auge, / dass sie vollkommener ist, / die verlorene Feder, / als der hinter dem Isolierglas / auf Position 36 lautlos dröhnende / Jumbojet, den du versäumt hast.“ Gegen die Vollendung der Vogelfeder erscheint selbst das Flugzeug, ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, als bloßes Machwerk. --- Etwa 20.000 Salzburger werden des Landes verwiesen und infolgedessen heimatlose Exulanten. will ich reisen; / Weiset Straße mir und Ziel! Auch im 37. Der Dreißigjährige Krieg führt zu ungeheurem Leid, zu Flucht und Vertreibung: In der barocken Reiselyrik werden Reisen werden oft allegorisch als Lebensreisen gedeutet, die den Sprecher aus dem unerträglichen Diesseits retten. Die Verlockung des Abenteuers treibt auch die Sprecherin in Kalékos Sehnsucht nach dem Anderswo (1977) an: Sobald der Vagabundenwind pfeift, entbrennt die „Sehnsucht nach dem Anderswo“. Ich muss die Parabel: Mann über Bord (1972) von Günter Kunert interpretieren. Ich reise fort. Verabschieden kann man sich außerdem – wie im Volkslied Innsbruck, ich muss dich lassen aus der Mitte des 16. Damit entsteht eine touristische Infrastruktur, die sich bald nach Kontinentaleuropa ausdehnt. Selbst in der Moderne wird das Bild der Seefahrt als Lebensreise nicht selten eingesetzt. Mit seinem dreißigbändigen Reisewerk wird Humboldt zum bedeutendsten deutschen Forschungsreisenden. Die einsame Bootsfahrt zeigt die Ferne aller Gewissheiten ebenso auf die die Unentrinnbarkeit des Todes, ein Hintreiben auf das unbekannte Ziel – wie in Christian Morgensterns Auf dem Strome (1897): „Ja, ich reise, ich reise, / weiß selbst nicht, wohin…“. Günter Kunert: Ja, absolut. Der Traum, „das phantastische Bild“, löst sich jedoch auf, wenn der Reiseführer von der Entstehung der Stadt berichtet. Auch in der Lyrik begleiten Gegenstände die Reise oder lassen ans Reisen denken. Es ist, sechstens, sogar völlig gleichgültig, ob die Reise jemals stattgefunden hat. In Adelbert Chamissos Bei der Rückkehr (1818, zuvor mit „An die Heimat übertitelt“) bittet der heimgekehrte Fernreisende, von seinen Gefühlen überwältigt, um ein Grab in der Heimaterde: „O deutsche Heimat! Schon vorher entstehen Auswandererlieder („Heil dir Columbus, sey gepriesen“). Selbst der einstmals so tröstliche Gedanke, dass sich die Heimat auch in der Fremde auffinden lasse, wird im Zeitalter reproduzierbarer, eintöniger Urlaubserlebnisse fragwürdig. Friedrich Nietzsche lässt Columbus in Der neue Columbus (1882) einer Freundin zuraunen, in der Ferne liege eine besondere Verheißung: „Ein Tod, Ein Ruhm, Ein Glück!“. Die gescheiterte Märzrevolution und eine Verschärfung der Zensurbestimmungen führen zu einer Zunahme der Auswanderung in die USA, nach Brasilien und Australien. Uwe Wittstock : Ihre frühen Gedichte appellierten unübersehbar an die Vernunft der Leser, versuchten sie zu belehren und zu erziehen. Der Text versammelt das typische Personal der Sommerfrische: ahnungslose Städter, höhere Töchter bei der Balz, Damen beim Kaffeklatsch, Skat klopfende Ehemänner. Verwandt ist Wolfgang Hilbigs „laßt mich doch“ (1965), in dem der Sprecher dem „warmen klebrigen brei“ seines Zuhauses in „kalte fremden“ entfliehen muss. Vor allem in der Volksliedstrophe: Kreuzreim oder halber Kreuzreim, dreihebige oder vierhebige Jamben, Quartette, oft mit Füllungsfreiheit und deswegen nicht streng alternierend. / Sei Freude eurer Brust beschieden, / Und euren Feldern Reis und Mais!“. Das kann die dichterische Sphäre sein, die Welt der Phantasie oder der größere Rahmen des Kosmos. Das romantische Sinnbild der Sehnsucht schlechthin ist jedoch die blaue Blume aus Novalis’ Roman Heinrich von Ofterdingen – sie ist jedoch, wie in Eichendorffs Die blaue Blume, auch nach langer Suche nicht auffindbar: „Ich wandre schon seit lange, / Hab lang gehofft, vertraut, / Doch ach, noch nirgends hab ich / Die blaue Blume geschaut.“ Die zunehmende Vorfreude auf eine Wiedervereinigung mit dem Vertrauten lässt die Reisezeit zusammenschmelzen. Der isolierte Wanderer der Romantik schwankt zwischen Fremdheitsgefühl und Allverbundenheit, Herumirren und Aufgehobensein. / Wirf dich ins Weite, wirf dich ins Leere, / Nur Ferne gewinnt dich dir selber zurück!“. Wenn die Heimat verloren ist, und erst recht, wenn sie den Exilanten verstoßen hat, bedarf er einer neuen Heimat. In Justinus Kerners Wanderlied (1809) macht sich die Heimat noch in der Fremde bemerkbar: den Ferngereisten grüßen schließlich die Vögel („die kennen sein väterlich Haus“), und der vom Wind ihm zugetriebene Blumenduft erinnert ihn an die zurückgelassene Liebe („Die Blumen einst pflanzt’ er der Liebe zum Strauß.“ Sowohl der Wind als auch das Blätterrauschen des heimatlichen Lindenbaums klingen dem Sprecher von Wilhelm Müllers Der Lindenbaum (1824) nach: „Nun bin ich manche Stunde / Entfernt von jenem Ort, / Und immer hör' ich’s rauschen: / Du fändest Ruhe dort!“. Texterschließung mit Gliederung zu Günther Kunerts Parabel "Ninive", geschrieben als Hausaufsatz mit der Note 2. Die Sehnsucht nach Naturerlebnissen jenseits elektrifizierter Großstädte wirkt sich auf die Neuromantik aus. Reisen kann, wie oben angedeutet, eine Flucht zum Ziel haben – durchaus auch eine mehrfache Flucht, wie in Otto Julius Bierbaums Sentimentale Reise (1905), der mit dem Vorsatz verreist, nicht nur vor sich selbst und dem Adressaten zu fliehen, sondern vor allem, was ihn „täglich quält und treibt und freudlos macht“. Zwischen Berlin und Deutz am Rhein verkehrt der erste Schnellzug, wenig später folgt der erste Nachtzug von Berlin nach Bromberg. In Liegewagen (1998) von Richard Pietrass reist der Sprecher klimafreundlich auf dem, Sofa („Mein Fahren tut dem Wald nicht weh“) durch eine „stummverfilmte Frühlingswelt“. Ein Beispiel ist der folgende Vers: „Wollt ihr nicht böhmisch sein, Illyrer, Veroneser, und Venezianer alle.“ Illyrien ist Schauplatz von Twelfth Night, or What You Will; in Verona spielt Romeo and Juliet; in Venedig The Tragedy of Othello, the Moor of Venice. Idealtypisch erfüllt Roths Reisender damit Ilja Trojanows Beschreibung des Homo viator, des immerzu Reisenden: „Der Homo viator kommt eigentlich nie wirklich an, er kehrt zurück und plant schon seine nächste Reise, während er noch den Koffer der letzten Reise entleert.“ Als solcher kann sich der Homo viator kaum den Verlockungen der Reiseindustrie entziehen, die mit geschönten Bildern um Kunden wirbt. Als Wandergenossen und Reisegefährten im Individualverkehr sind sie selbst gewählt, im öffentlichen Verkehr ist die Begegnung oft durch die Notwendigkeit der Transportbedingungen aufgezwungen. / Stern und schwärzliche Fahrt / Entschwand am Kanal.“ Den Rang der Ewigkeit verleiht auch Stefan Zweig der von der Morgensonne erleuchteten Stadt in Sonnenaufgang in Venedig (1917). Symbolisch zu verstehen ist Hilde Domins Fesselballon (1962), der die Verlorenheit des Exilanten dem Forttreiben eines Fesselballons vergleicht. Auch Ernst Ahrendts Sonett Ulysses' weite Fahrt (1950) greift auf den Mythos der Odyssee zurück. Die Roma erreichen Mitteleuropa: Auch vorher schon gab es wandernde Händler und Handwerker, doch keine andere Gruppe der Fahrenden wird in Gedichten so verklärt wie die „Zigeuner“ – im Widerspruch zur realen Diskriminierung, der sie vielfach bis heute ausgesetzt sind. Das Städtelob verkehrt sich in der Moderne zur Zivilisationsklage. Es geht auch um Distinktion: Wer reist, gilt etwas. / Unsre Köpfe reißen vom Leib. Das sicher bekannteste Stück ist das Lied der Mignon aus Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795 / 1796). Allerdings wird erst im 11. Dieses Motiv greift Johannes R. Becher in seinem Abendlied nach Matthias Claudius (1942) auf: „Wir haben uns verlaufen. Für den Sprecher von Andreas Gryphius’ barockem Sonett Abend (1650) erscheint das Leben allegorisch als „Rennebahn“. Aus Flüchtlingen werden Geflüchtete. Dies geschieht beispielsweise in Georg Heyms Ostseegedicht Gegen Norden (1911): „Es zittert Goldgewölke in den Weiten / Vom Glanz der Bernsteinwaldung“. Die von ihm angeregte Beschäftigung mit Volksüberlieferungen, unter anderem mit der Ossian-Dichtung Macphersons, beeinflussen sowohl die Lyrik des Sturm und Drang als auch ab 1798 die Romantiker. / Steig über die Berge!“. Für praktische Erläuterungen sind sie zu kurz. Als eigentümlich zeitloses Wesen erscheint die Lagunenstadt auch in Rainer Maria Rilkes Venezanischer Morgen (1908). 1929): Der Zweck des Gedichts, glaube ich, ist sein Leser, der, indem er sich mit dem Gedicht befaßt, sich mit sich selber zu befassen genötigt wird: in einem dialektischen Prozeß: im gleichen, den ihm das Gedicht v o r s c h r ei b t und … Ein ähnlich dürftiges Resumé bleibt dem Reisenden in Eugen Roths Nach der Reise (1973): „Da war ich auch – vor dreißig Jahren!“. Jeder Eintrag versucht (allerdings nicht in aller Konsequenz) weitere Einzelmotive zu unterscheiden und mit Auszügen zu belegen. Es ist verständlich: Wer aus der Ferne zurückkehrt, legt Rechenschaft ab für die Daheimgebliebenen. / Bis ich erkenne: Hier ist dort / Und neu vergnügt nach Hause wandre.“ Im Gegensatz zu Ringelnatz, dessen Sprecher die Übereinstimmung von Fremde und Heimat offenbar vergnüglich findet, erkennt der Sprecher in Berthold Viertels Gekritzel auf der Rückseite eines Reisepasses, dass die Parallelen erschauern lassen: „Das sind die Völker und die Reiche. – Gespräch mit Günter Kunert über Kostproben kommender Katastrophen und die Notwendigkeit von Enttäuschungen sowie den zwielichtigen Charakter der Poesie. Unterhaltsam sind sie in aller Regel auch nicht. Louise von Plönnies schildert in Auf der Eisenbahn (1844) die Begeisterung, die das neuartige Gefährt auszulösen vermag: „Rascher Blitz, der mich trägt / Pfeilschnell, von der Glut bewegt, / Sausend durch des Tages Pracht, / Brausend durch die dunkle Nacht“. Doch als Günter Kunert 1977 dieses Gedicht mit thematisch ähnlichen Texten in dem Band Unterwegs nach Utopia veröffentlichte, lebte er noch in der DDR, in der jede Art von Utopiekritik mit Fluch und Bann belegt wurde. Der Zauber Venedigs überwältigt selbst die Skeptiker; die bloße Erwähnung des Stadtnamens lässt die Umstehenden, wie in Friederike Roths Sag Venedig (1985) in Verzückung geraten: „Sag Venedig. Auch fremdsprachige Zitate sind in Verbindung mit historischen Anspielungen geeignete Pathosformeln. In Hugo von Hofmannsthals Reiselied (1908) wird das lyrische Ich von Vögeln in ein utopisches Land entführt: „Kommen schon auf starken Schwingen / Vögel her, uns fortzutragen.“ In Stefan Zweigs Hymnus an die Reise (1924) ist das Fliegen die einzige Möglichkeit, sich von der Melancholie zu lösen und sich selbst zu finden: „Im Flug nur entfliehst du der eigenen Schwere, / Die dir dein Wesen umschränkt und erdrückt. Der Sprecher in Mascha Kalékos Schienen-Sehnsucht (1956) sagt von sich: „Ich kann auf keinem Bahnsteig der Welt / Mit kühlen Gefühlen stehen“; fünfzig Jahre später phantasiert Hans-Ulrich Treichels Sprecher in Alter Bahnhof (2009): „Was für Abschiede / gäbe es hier und was für / Umarmungen.“ Der monotone Wechsel der Bahnansagen gibt regio (2013) von Gerhard Ruiss das Gerüst; von Ortsnamen leitet der Sprecher zum Carpe-diem-Motiv über. Wo die ungeheuren / Gebirge von Rauch stehn.“ Den Verlust der Heimat prophezeit auch Klabund dem Polarforscher in Abschiedsworte an einen Nordpolarfahrer (1927): „Kehrst nach manchen Jahren dann zurück du – / Liegt Europa brach von Menschen leer. Der Reisende kann auch selbst zum Element des Zuges werden, wie in Wolfgang Heidenreichs Blues II (2007): „Ich kreise strecklings in der Nabe / Das Schwungrad hämmert seinen Takt / Ich schlenze blaue Fetzen aus der Seele / Und pfeife schmutzige Synkopen obendrein.“. Gleichzeitig erscheinen „Zigeuner“ in mythischer Verklärung; mit dem Leben der Sinti und Roma hat diese romantisierte Vorstellung kaum etwas zu tun: Sie liefert dem Sesshaften die Verheißung des freizügigen, selbstbestimmten und lustbetonten Lebens, fernab von bürgerlicher Sittenstrenge und staatlicher Kontrolle. Das geschieht beispielsweise durch Bezüge zum Mythos, passend zur Landschaft. danke schon im voraus! Damit ist die Lust am Wandern eben kein Herumirren (im Sinne einer Poriomanie), sondern ein bewusstes Erleben seiner selbst in Bewegung. Lyrische Spaziergänge können von einer Beobachtung oder einem Erlebnis in die Reflexion ausschweifen – in Klabunds Spaziergang (1927) ist es Vogelkot, der ein Räsonieren über die Ungerechtigkeit der Natur anstößt. M1 Von emotionalen und rationalen Sichtweisen … 10, Produktiver Umgang mit Lyrik der Gegenwart. Unverkennbar ist das Charon-Motiv auch in Günter Eichs Im Nebel ertastet der Uferrand (1950), wo der Sprecher sich an Charons „Schattenhand“ in den „Nachen“ führen und zum „Nebelland“ übersetzen lässt. Dieses Gefühl ist die Voraussetzung dafür, Heimatgefühle zu empfinden – wer nie die Heimat verlassen hat, kann sie nicht als solche wahrnehmen. In Am Abend verwandeln (1973) von Richard Piernass lässt sich die Mauer nur in der Phantasie überwinden: „Am Abend verwandeln wir uns und werden Vögel, Mauersegler, die mit schrillen / Schreien den ungeteilten Himmel befliegen“. Santiago da Compostela wird zum Wallfahrtsort. Noch in Detlev von Liliencrons Der Blitzzug (1903) sind die Zweifel am Geschwindigkeitswahn der Eisenbahn spürbar: Er führt dort zu einem Eisenbahnunglück, das durch eine lautmalerische Wiedergabe der Signaltöne vorbereitet wird. Nicht nur der Raum lässt sich im Gedicht durchreisen, auch die Zeit. Mit einem verwandten Gedanken schließt Kafkas Tunnel-Gleichnis aus den nachgelassenen Schriften (1917), das den Reisenden in der dunklen Ungewissheit des Tunnels festhält, in der „Verwirrung der Sinne“, und ein Ausweichen ausschließt: „Was soll ich tun? Michael Moscherosch etwa schlägt in seinem Reisespruch (1640) vor, man solle schweigend reisen, „steten Schritt[es]“ und mit leichtem Gepäck. lg, Eine Interpretation des Textes "Zentralbahnhof" von Günter Kunert (Sehr ausführlich: 3 DinA4-Seiten). In den Zwanzigern: selten mit dem Auto, öfter mit dem Zug; die Exilanten: mit dem Zug und mit dem Schiff, in Einzelfällen bereits mit dem Flugzeug; in den Fünfzigern: Mit dem Volkswagen, auch noch mit dem Zug. / Wie groß, wie seelenhebend!“. In der Dekadenzliteratur und im Symbolismus: um dem Lebensüberdruss (. Ähnliches findet sich in Erich Kästners Eisenbahnfenster (1924): „Felder fliehen / in tanzenden Kreisen.“ Während der Zugreisende die eigene Bewegung durch die Größe der Waggons und deren ruhiges Anrollen übersieht, scheint die Umgebung (etwa die häufig personifizierten Bäume) vorbeizutanzen. Auch in Ernst Stadlers Bahnhöfe wird der Bahnhof mit dem in ihm haltenden Zug ins Gigantische gesteigert, die Bahn wird zum vorsintflutlichen Raubtier: „Wie Lichtoasen ruhen in der stählernen Hut die geschwungenen Hallen / Und warten. © Copyright by Martin Baier, Layout by Daniel Baier - powered by CMSMadeSimplepangloss.de - Ein Seitenweg zu Kulturgeschichte, Germanistik, Deutsch und Englisch, Kultur und Migration in Baden-Württemberg, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Textvergleich „Steppenwolf“ und „Der goldne Topf“. Die Wanderung zu Fuß, langsam und mühselig im Vergleich zu Kutschfahrt und Ritt, ermöglicht ein genaueres Betrachten der Umgebung. Ausgangspunkt dieses 1729 gedruckten Alexandrinergedichts in 49 Stanzen ist eine Alpenreise mit dem Naturforscher Johannes Gessner im Jahr 1728. Drittens: Gedichte bieten uns die Freiheit, für das Fremde unsere eigene Sprache zu finden. Bis 1933: durch die Welt, mit den nun entstehenden Reisebüros als Tourist, den Baedeker in der Hand; aber auch in die Umgebung der Großstädte, bei Landpartien und in der Sommerfrische, erstmals auch im Urlaub; ab 1933 vor allem ins Exil – in die USA (Zuckmayer, Kaléko, Brecht), nach Neuseeland (Wolfskehl), nach Moskau (Becher); ab 1945: Gar nicht, es sei denn, man kommt aus dem Exil zurück…! Die Bildungsreise beginnt als Kavaliersreise und soll dem Nachwuchs des europäischen Adels die Weltläufigkeit verschaffen, die er auf dem schlüpfrigen Parkett der Höfe benötigt. Im Gegensatz zum emphatischen Aufrufen des Bildungswissens, das im 19. Eine humoristische Variante der Lebensreise im Zug bietet Robert Gernhardts Gedicht Rheinfahrt im Winter (2002), in dem der Sprecher einen Bahnbeamten im Zug nach Köln um einen Lebenssinn bittet: „Ach bringse mir doch bitte einen Sinn, / worin / ich mich sowie mein Fahrziel finden kann“. / Währenddes ich, leise singend, reinigt ihn vom Staub der Jahre, / War’s, als höbe mir ein Bergwind aus der Stirn die grauen Haare, / War's, als dufteten die Matten, drein ich schlummernd lag versunken, / War's, als rauschten alle Quelle, draus ich wandernd einst getrunken.“ Der Wind als Symbol des Aufbruchs und mit ihm „das gefühl einer langen reise“ zur Reise weht auch aus der Flasche in Peter Neumanns buddelschiff (2014): „durch die schmale öffnung / im flaschenhals / flaut ab, ein helles pfeifen“.